Unzählige Geschichten könnten über das Leben in Goppenstein erzählt werden. Gerade während dem Bau des Lötschbergtunnels, aber auch während dem darauf folgenden Bahnbetrieb sind viele Geschichten entstanden. Doch auch schon früher gab es etwas zu erzählen. Aus dem Lötschental und auch aus der Region Goppenstein wurden diverse Sagen überliefert. Ein paar Geschichten und Sagen möchte ich hier wiedergeben.
Haben Sie etwas besonderes in Goppenstein erlebt? Kennen Sie eine alte Überlieferung oder Geschichte? Gerne nehme ich solche entgegen.
Der Gräberkrieg
Geschrieben von Lehrer Rieder aus Kippel, veröffentlicht in „Blätter für bernische Geschichte, Kunst und Altertumskunde“, Band 1, 1905
Die «Gräber» liegen im Lötschental, etwas unterhalb Goppenstein. Es war zur Zeit, als die Lötscher mit den Bernern auf Kriegsfuss standen. Der Pfarrer in Lötschen hielt es heimlich mit den Bernern, und er schlug ihnen einen Sonntag vor, an dem sie kommen sollten, um die Lötschtaler zu überfallen, dann würde er etwas später mit dem Gottesdienste anfangen, die Predigt in die Länge ziehen und ihnen auf diese Weise behülflich sein.
Als der verabredete Sonntag kam, begann der Pfarrer etwas später mit der Messe, und die Lötscher waren alle in der Kirche in frommer Andacht versunken. In den Stühlen sass auch eine Frau aus Ferden mit einem kleinen Kinde, das plötzlich zu weinen anfing. Sie führte es hinaus und wanderte mit ihm über die Höhe von Ferden, wo sie ein sonderbares Trommeln und Pfeifen hörte. Sie blickte gegen den Lötschberg hinauf und gewahrte einen Menschenzug über die Fletschen hinuntersteigen. Sie wusste, dass Berner und Lötscher einander nicht hold waren, und plötzlich, als sie die Waffen in der Sonne blitzen sah, kam ihr der Gedanke, es könnten die Berner sein, denn was für Kriegsvolk sollte sonst über den Lötschberg ziehen! Sie eilte sofort zurück in die Kirche und machte Anzeige. Die Männer stürzten hinaus, liefen nach Hause, griffen zum Schwerte und rüsteten sich zum Empfang der Berner. Der Kastlan rief schnell einen Buben, den er anwies, eine schriftliche Mahnung um Hülfe hinunterzutragen nach Gampel und Steg. Damit er den Zettel nicht aus der Hand gebe, wenn er etwa in Feindes Hand geraten sollte, füllten sie ihm einen Milcheimer mit „trockenem Mahl“, einer Art Mehlspeise, in die zu unterst das Papier gelegt wurde. Wenn der Feind ihn anhalte und frage, wohin er gehe, solle er nur sagen, er trage dem Vater das Mittagessen zu. Unterwegs fiel der Bote richtig in die Hände der Feinde. Als man ihn ausfragte, stellte er sich dumm, gab verkehrte Antworten, deckte das Geschirr ab und zeigte ihnen den braunen Mehlrost, worauf man ihn laufen liess.
Als die Berner den Talgrund erreicht, waren die Lötscher auf ihrem Posten; doch da sie sich den Feinden gegenüber viel zu schwach fühlten, stellten sie sich recht freundlich und sagten, sie hätten hier nicht viel zu gewinnen, sie wollten sich lieber zusammen verbinden und dann hinuntermarschieren nach Gampel und Steg, wo grosse Beute zu erwarten sei, und dort gemeinsam plündern.
Die Berner waren mit dem Vorschlag zufrieden und zogen voran. Die Lötscher blieben langsam zurück, und als die Spitze der Berner gegen die «Gräber» kam, sah man die von Gampel und Steg mit Zugewandten aus dem Wallis über die Luegle hinuntereilen. Jetzt waren auf einmal die Lötscher verschwunden. Als die Schlacht begann, rückten sie wieder vor und fielen dem Feind in den Rücken. Nach kurzem aber heftigem Kampf war das Schicksal der Berner entschieden. Nur drei Mann blieben am Leben, die man noch verstümmelte. Dem einen stachen sie die Augen aus und sagten ihm, er solle zurückgehen und erzählen, wie es ihm ergangen sei ; dem zweiten schnitten sie die Zunge ab und höhnten, er solle zu Hause bekannt machen, was er hier gesehen; dem dritten hieben sie die Ohren weg und schrien ihm zu, er solle dann berichten, was er hier gehört habe; dann wurden sie laufen gelassen. Die Erschlagenen wurden begraben und das grosse Totenfeld heisst heute noch die «Gräber»
Die Kapelle in Goppenstein
Veröffentlicht in „Schriften der Schweizerischen Gesellschaft für Volkskunde; Sagen und Märchen aus dem Oberwallis“ von J. Jegerlehner, 1913
Bei Goppenstein hörten Kohlenbrenner an jedem Feiertag schreckliches Geschrei, das unten im Grund anhub und sich dann den Berghang hinaufzog bis auf den Kamm; dann ertönte es auch neben ihnen und an der gegenüber liegenden Wand. Oft wurden sie dort auch zu gewissen Zeiten irregeleitet, und der Spuk verschwand erst, als das Bethaus von Goppenstein errichtet wurde.
Der Holzmutterli Tschugge
Veröffentlicht in „Schriften der Schweizerischen Gesellschaft für Volkskunde; Sagen und Märchen aus dem Oberwallis“ von J. Jegerlehner, 1913
In der Meiggalp oberhalb Goppenstein wohnte unter einem Felsen das Holzmutterli, eine Frau, die mehr einem Affen als einem Menschen glich und nackt herumlief mit herabhängenden Brüsten, die sie über die Schultern schlagen konnte. Wen sie mit ihrer Milch bespritzte, der wurde von ihr bezaubert, und wehe den Männern, die ihr in die Schlinge fielen, sie wurden zu Tode gequält. Die Alp wurde dadurch unsicher, und einige Männer rafften sich deshalb auf, bewaffneten sich mit Musketen und schössen den ganzen Tag gegen die Felsenhöhle, in der das Mutterli wohnte. Schliesslich sahen sie sie ausziehen gegen die Hockenalp, und im Gallenloch will man sie zuletzt gesehen haben.
Der Steintrölergeist bei Goppenstein
Veröffentlicht in „Schriften der Schweizerischen Gesellschaft für Volkskunde; Sagen und Märchen aus dem Oberwallis“ von J. Jegerlehner, 1913
Ein Vater hatte mit seinen zwei Söhnen im Walde bei Jeizinen gefrevelt, und zur Strafe dafür wurden sie nach ihrem Tode in Poltergeister verwandelt. An den Sonntagen, und heiligen Festtagen wüteten sie so sehr, dass es für die Leute keine Lust mehr war, ihnen zuzuhören.
Um diese Zeit lebte in Gampel ein verjagter Jesuit. Er machte sich auf Bitten der Gemeinde auf den Weg, um den Platz zu sehen, wo die Geister gewöhnlich spektakelten. Der Sigrist trug das Kreuz und der Kirchenvogt das Weihwasser mit dem Wedel. Es war Pfingsten, und die drei schritten durch ein Kornfeld, um den Weg abzukürzen.
Da rief der alte Geist: „Heute werdet ihr mir nicht Meister, denn ihr seid auch Diebe!“
Da sagte der Pater: „Was, Diebe, ich habe niemand bestohlen!“
„So blickt auf eure Schuhe,“ sagte der Geist, „ihr habt Kornähren auf euren Schnallen!“
Da sagte der Jesuit; „Ja, es ist wahr!“
Sie stiegen den Berg hinunter und wollten mit dem Besitzer des Kornackers abschaffen, der den kleinen Betrag natürlich schenkte. Am nächsten Tag gingen die drei wieder den Berg hinauf, und da erschien der Geist wieder und sagte: „Heute kommt ihr wieder umsonst, denn ihr seid Diebe!“
„Was, Diebe!“ rief der Pater, „heute haben wir den Kornacker gemieden!“
„So schaut auf eure Schuhe, ihr habt Heublumen an den Schnallen, und das ist Diebstahl!“
Der Pater ging mit seinem Gefolge wieder zurück und vergütete dem Besitzer den Schaden.
Am nächsten Tag stieg er zum dritten Mal nach Jeizinen hinauf und mied sorgfältig jede Abkürzung durch Korn- und Wiesenäcker. Da sagte der Geist: „Ihr habt gestern und vorgestern mit den geschädigten Leuten abgeschafft und heute nichts gestohlen, nun muss ich euch folgen!“ Der Pater fragte, ob man ihn nicht an einen andern Ort hinbannen könnte, damit der Spektakel aufhöre. „Doch,“ erwiderte der Geist, „aber nur an einen Ort, wo ich noch auf den Wald zurücksehen kann, in dem ich gefrevelt habe.“ Da verbannte ihn der Geistliche in den Wald bei Goppenstein, wo er niemand stören konnte, und dort wühlt und rumort es noch heute selbst beim schönsten Wetter.